Background Image
Table of Contents Table of Contents
Previous Page  21 / 68 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 21 / 68 Next Page
Page Background PISTE.DE

021

HIPHOP-SPECIAL |

KULTUR

SCHWESTA

EWA

Es ist 2011 und das Video zum Song „Schwätza“ von Schwesta Ewa geht

viral. Eine Frau, die aus der Sicht einer Prostituierten darüber rappt, wie man

Freier abzieht. Der erste Eindruck: Ist das echt oder ein Scherz? Es klingt wie

eine Kreuzung aus Cora E. und Haftbefehl. Wie sich später herausstellen wird,

ist das auch deshalb auf den Punkt, da Schwesta Ewa in Kiel aufgewachsen ist,

der Heimatstadt von Cora E. Seit ihren 20gern lebt sie dann in Frankfurt, was

den Haftbefehl-Swag mit in ihre Aussprache bringt. Wie sich später herausstell-

te, ist Schwesta Ewa auch wirklich über fast eine Dekade Prostituierte gewesen.

Also kein Scherz, sondern extrem authentischer Rap auf 90er Jahre Beats, die

wahlweise aus NY oder LA stammen könnten.

Es folgen Features auf den Alben von Xatar und Celo & Abdi, sowie ein

Mixtape und ein Album. Und die Geschichten, die Schwesta Ewa zu erzählen

hat, sind voller Extreme: Ihre Crack-Abhängigkeit, die sie selber überwindet.

Die Vergewaltigung, bei der ihr eine Pistole in den Mund gedrückt wird. Oder

wie man Freier f****, sodass sie nicht merken, dass sie gar keinen echten

Geschlechtsverkehr mehr haben. Ihr Debut Album „Kurwa“ steigt daraufhin auf

Platz elf der Album Charts ein.

In den ersten Jahren ihrer Karriere wird Schwesta Ewa mehrheitlich von Män-

nern, aber auch von vielen Frauen, von vorn bis hinten angegriffen und mit Hass

überschüttet. Sie sei eine „Kahba“ und eine „Hure“. Es sind diese Momente,

in denen die geistige Höhe dieser Kommentatoren durch das Unterholz von

Facebook blitzt. Wie beleidigend ist es, wenn man eine Frau „Hure“ nennt, die

sich selbst „Hure“ nennt?

Ende 2016 gerät Schwesta Ewa allerdings ins Visier der Ermittlungsbehörden.

Ihr wird vorgeworfen, fünf weibliche Fans zur Prostitution gezwungen zu haben.

Sie wird angeklagt in den Punkten: Verdacht des Menschenhandels zum Zweck

der sexuellen Ausbeutung, Zuhälterei, Körperverletzung sowie Steuerhinterzie-

hung. Letztendlich wird sie im Juni 2017 wegen 35-facher Körperverletzung,

Steuerhinterziehung und sexueller Verführung Minderjähriger zu zwei Jahren

und sechs Monaten Haft verurteilt. Die Vorwürfe der Zuhälterei und des Men-

schenhandels sieht das Gericht allerdings nicht als erwiesen an. Die Zeuginnen

hatten ausgesagt, dass sie freiwillig als Prostituierte gearbeitet haben. Bevor

sie ihre Haftstrafe antritt, arbeitet sie an einem neuen Album. Es ist zu hoffen,

das sie dieses Mal den „geraden Weg“ geht, wie sie es selbst in ihren Texten

formuliert.

HAIYTI

Was genau die Hamburgerin in ihren Texten rappt, ist nicht immer einfach zu

decodieren. Gewisse psychedelische und post-dadaistische Tendenzen sind un-

bestreitbar – aber genau das ist extrem faszinierend an Haiyti. Während diese

Analyse sehr verkopft wirkt, ist von dieser Verkopfung nichts in ihrer Musik zu

spüren. Bei Haiyti fließt alles, als wäre es das natürlichste der Welt. So natürlich,

dass nach oben fließendes Wasser nicht als anormal empfunden werden würde.

Neben den eher Party tauglichen Songs wie „Runter von der Straße“ bemerkt

man auch dunkle Wolken in einigen Songs wie „Messer“, die von einer bittersü-

ßen Melancholie getragen werden, deren unglaubliche Stärke gern unterschätzt

oder nicht erkannt werden. Das mag auch an den vielen Drogenreferenzen in

ihren Texten liegen, hinterlassen diese doch nicht nur den Eindruck, als würde die

Rapperin Betäubungsmittel verkaufen, sondern gegen das vierte Gebot der zehn

Crack Gebote von Notorious BIG verstoßen: Never get high on your own supply.

Ihre Musik, ihr Ansatz, ihre Ästhetik sind geprägt vom Do-It-Yourself Charakter.

Hierbei geht es vor allem um Kontrolle und Arbeitstempo. Denn die Wasser-

mann-Frau ist die Ungeduld in Person. Trotzdem unterschrieb sie einen Major

Plattenvertrag bei Universal. Die Kontrolle behielt sie trotzdem irgendwie. Jeder

ihrer männlichen Kollegen hätte ein großes Foto des Signings gepostet und in den

Hashtags Anspielungen auf die Millionen gemacht, die er bekommt. Big Pimpin.

Und Haiyti? Nichts! Sie hielt es nicht für nötig, es zu kommunizieren.

Genauso faszinierend ist es zu erfahren, dass sie an der HFBK Kunst studiert. Das

wirkt irgendwie seriös und passt eigentlich Null zu ihr. Es sind aber genau diese

Brüche in der Figur Haiyti, die diese Künstlerin so spannend machen – und große

Flächen für Projektionen und Interpretationen des Betrachtenden öffnen.

Natürlich gibt es auch Menschen, die Haiyti nichts abgewinnen können. Dann

wird ihre Stimme kritisiert, dass man nicht weiß, worum es geht, und dass alles

so komisch ist. Es fällt mir nur schwer, das als Schwächen zu erkennen. Selbst die

sonst immer so gern von Fachpresse und Publikum bei weiblichen MCs gestellten

Gender-Fragen tauchen so gut wie nie bei Haiyti auf. Deshalb ist sie für mich

auch eine der spannendsten Rap-Entdeckung der letzten drei Jahre. Denn mit

diesem Gesamtpaket hat Haiyti einen Grad der Selbstverständlichkeit ihrer Kunst

erreicht, der nicht selbstverständlich ist im deutschen Rap.