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PISTE.DECITY NEWS
| PISTE PERSÖNLICH
LIEBER CORNY, MIT 65 DARF MAN DAS FRAGEN: WIE DENKST DU ÜBER
DEINEN RUHESTAND?
Außer dass ich noch auf den Rentenbescheid warte, befinde ich mich eher im
Unruhestand als im Ruhestand. Es gibt noch viele interessante Projekte, die
geplant, aber noch nicht umgesetzt wurden. Zum Beispiel im nächsten Frühjahr
„Panic City“ mit Udo Lindenberg im Klubhaus St. Pauli. Es gibt diverse neue Stü-
cke, die auf die Bühne gebracht werden – und somit auch ausreichend Arbeit für
mich. Ich gönne mir jedoch viele Ruhephasen, auch wenn mein Kalender voll ist.
So lange ich an allem Spaß habe und ich noch das tun kann, was ich gern
mache, habe ich keinen Grund, bald aufzuhören.
WAS WAR DEIN GRÖSSTER, PERSÖNLICHER ERFOLG? UND HÄTTEST DU
ETWAS GERN GANZ ANDERS GEMACHT?
Da zitiere ich gern Edith Piaf: „Je ne regrette rien.“ – Ich bereue nichts. Es ist meiner
Meinung nach eine gesunde Einstellung, nicht darüber nachzudenken, was hätte
passieren können. Ich blicke lieber nach vorn und mache mir Gedanken über den
nächsten Schritt, der mich glücklich macht. Mich im Nachhinein darüber zu bekla-
gen, nicht mit acht Jahren Klavier gelernt zu haben, ist mir zu müßig. Zu meinem
größten Erfolg zählt, dass ich mein Leben frei genießen und gestalten kann. Ich bin
körperlich und geistig fit – und mehr geht einfach nicht.
SPIELST DU DENN EIN INSTRUMENT?
Nein, tatsächlich nicht. In der frühen Kindheit spielte ich Blockflöte, aber das ist
lange her. Glücklicherweise waren meine Eltern herzhaft unmusikalisch und haben
mich nicht dazu getriezt, ein Instrument zu lernen. Auf der Bühne ist es eine reine
Stimmarbeit, musikalisch gesehen bewegt sich meine Stimme aber leider nur im
Rahmen einer Oktave. Singen würde ich das nicht nennen – ich interpretiere Lie-
der. Zu Hause habe ich den direkten Vergleich: Mein Mann ist Tenor, bei ihm ist
es Gesang.
MACHST DU NEBEN DEINER PERFORMANCE AUF DER BÜHNE SPORT,
UM DICH KÖRPERLICH FIT ZU HALTEN?
Die Bühnenarbeit kostet Kraft, aber ich habe auch das Laufen für mich entdeckt.
Außerdem versuche ich weitestgehend gesund zu leben und achte auf meine
Ernährung. Und der kleine Bauch stört mich etwas. Den abzutrainieren hat aber
keine Priorität, denn dafür kochen mein Mann und die Mitarbeiter im Theater viel
zu gut. Einmal in der Woche muss es schon das Schnitzel im Gassenhaur sein
oder alle paar Wochen die handgemachten Königsberger Klopse mit vielen
Kapern beim Mittagstisch im Schmidt. Meine Kochkünste reichen bisher für Rührei
mit Krabben, das Kochenlernen habe ich auf mein nächstes Leben geschoben.
APROPOS NÄCHSTES LEBEN: WO SIEHST DU DEN KIEZ IN 50 JAHREN?
Ich habe mir bisher noch keine konkreten Gedanken darum gemacht, da ich die
wahrscheinlich nicht erleben werde. Rückblickend auf die letzten 45 Jahre, die ich
miterlebt habe, ist St. Pauli ein Entertainment-Bezirk und ein weltweit bekanntes
Aushängeschild für Hamburg. Der Stadtteil befindet sich noch immer im Verände-
rungsprozess. Ich wünsche mir, dass der Kiez weiterhin vielseitig bleibt, und dass
es zum Beispiel ein gutes Angebot zu bezahlbaren und fairen Konditionen gibt.
Die Theaterkultur sollte auch weitestgehend frei bleiben, denn mit der städtischen
Subvention kommen auch unterschiedliche Einschränkungen der Obrigkeit. Vor
rund 80 Jahren gab es noch über 60 private und damit freie Theatereinrichtungen
auf St. Pauli, heute kann man sie neben unserem Theater an einer Hand
abzählen.
WAS SIND DEINER MEINUNG NACH DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDE-
RUNGEN FÜR DEN KIEZ DER ZUKUNFT?
In den letzten 40 Jahren gab es natürlich auch Dinge, die ich ungern gesehen
habe: Die Zuhälterkriege, einige Peep-Shows, die meiner Meinung nach unnötig
sind, und natürlich die Kioske, die exponentiell aus dem Boden gestampft wurden.
Dieses Problem ist aktueller denn je – und diese Entwicklung finde ich furchtbar.
Einerseits nehmen die Kioske den Gastronomen die Existenzgrundlage. Und ande-
rerseits animieren sie die Jugendlichen, sich für wenig Geld auf den Straßen volll-
aufen zu lassen. Es gibt in dieser Hinsicht nur Lösungsvorschläge – aber es ist die
Angelegenheit der Politik, die Problematik zu klären. Wie das regulierte Flaschen-
verbot, das nur auf dem Kiez existiert, könnten Alkoholika zum Beispiel lediglich
am Wochenende bis 22 Uhr an Kiosken verkauft werden dürfen. Das ist durchaus
umsetzbar – und jeder hätte etwas davon.
KÖNNTEST DU DIR VORSTELLEN, DIE KIEZ-PROBLEMATIK VON GANZ
WEIT ENTFERNT, AUF EINER EINSAMEN INSEL, ZU BEOBACHTEN?
Ich lebe auf St. Pauli, arbeite hier und habe hier meine Wurzeln geschlagen.
Irgendwo anders wäre ich nicht heimisch, ich bin ein Teil des Ganzen. Ich brau-
che jedoch auch mal eine Auszeit vom Trubel – und dann bin ich weg, sehr weit
weg. Eine einsame Insel wird es jedoch nicht werden, da müsste ich ja selber
kochen.
DANN NIMM DOCH DEINEN MANN MIT ...
Ja, aber nur mit einem Mann glücklich sein!? Ich bin gern unter Menschen und das
bezieht die Geselligkeit mit anderen nun einmal ein. Das eine schließt das andere
ja nicht aus.
CORNY
LITTMANN
EXKLUSIV-INTERVIEW ZUM 65. GEBURTSTAG AM 21. NOVEMBER 2017
LEBEN, LIEBEN UND NICHTS BEREUEN
Cornelius Littmann wurde am 21. November 1952 in Münster geboren und
lebt seit 1967 in Hamburg. Er studierte in der Hansestadt Psychologie bis er sich mit vollem Einsatz seiner wahren Berufung
hingab: dem Theater. Bundesweit wurde er bekannt durch seine Rolle als Herr Schmidt in der Schmidt Mitternachtsshow
von 1990 bis 1993 an der Seite von Lilo Wanders und Marlene Jaschke. Seit dem Ende der Show produziert er am heimischen Schmidt Theater, führt
Regie oder schlüpft in kleinere Bühnenrollen. Am 8. August 1988 um 8:08 Uhr eröffnete Corny Littmann mit drei weiteren Gesellschaftern als künstle-
rischer Leiter das Schmidt Theater. Drei Jahre später das Schmidts Tivoli. Mittlerweile gehören zur Schmidt-Familie diverse weitere Lokalitäten wie das
Schmidtchen (im Klubhaus St. Pauli, zu dessen Bauherren er ebenfalls gehört) als kleinste Spielstätte, das Dips’n Stix, die hausbar, das Glanz & Gloria
und der Nachtclub Angie‘s. Und im September dieses Jahres, am Tag des Wiener Schnitzels am 9. September, erweiterte ein weiteres Restaurant die
Kiez-Landschaft unter seiner Schirmherrschaft: Das Gassenhaur mit dem weltbesten Wiener Schnitzel außerhalb der österreichischen Hauptstadt! Die
Vielseitigkeit seines Schaffens zeigt sich auch in der Tätigkeit als Präsident des Fußballvereins FC St. Pauli von 2003 bis 2010. Aktuell ist das Hambur-
ger Original mit einem Mann verpartnert, Botschafter der Initiative „Respekt! Kein Platz für Rassismus“, LGBT-Aktivist und Mitglied der „Deutschen
Akademie für Fußball-Kultur“. Nach dem Motto: „Endlich Rentner“ wird im Theater ganz privat mit Freunden zu seinem Ehrentag angestoßen und
gefeiert. Auch wir sagen ALLES GUTE zu einem sehr lebensbejahenden Mann, der eine gesunde Portion Selbstironie hat.




