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010

PISTE.DE

CITY NEWS

| PISTE PERSÖNLICH

LIEBER CORNY, MIT 65 DARF MAN DAS FRAGEN: WIE DENKST DU ÜBER

DEINEN RUHESTAND?

Außer dass ich noch auf den Rentenbescheid warte, befinde ich mich eher im

Unruhestand als im Ruhestand. Es gibt noch viele interessante Projekte, die

geplant, aber noch nicht umgesetzt wurden. Zum Beispiel im nächsten Frühjahr

„Panic City“ mit Udo Lindenberg im Klubhaus St. Pauli. Es gibt diverse neue Stü-

cke, die auf die Bühne gebracht werden – und somit auch ausreichend Arbeit für

mich. Ich gönne mir jedoch viele Ruhephasen, auch wenn mein Kalender voll ist.

So lange ich an allem Spaß habe und ich noch das tun kann, was ich gern

mache, habe ich keinen Grund, bald aufzuhören.

WAS WAR DEIN GRÖSSTER, PERSÖNLICHER ERFOLG? UND HÄTTEST DU

ETWAS GERN GANZ ANDERS GEMACHT?

Da zitiere ich gern Edith Piaf: „Je ne regrette rien.“ – Ich bereue nichts. Es ist meiner

Meinung nach eine gesunde Einstellung, nicht darüber nachzudenken, was hätte

passieren können. Ich blicke lieber nach vorn und mache mir Gedanken über den

nächsten Schritt, der mich glücklich macht. Mich im Nachhinein darüber zu bekla-

gen, nicht mit acht Jahren Klavier gelernt zu haben, ist mir zu müßig. Zu meinem

größten Erfolg zählt, dass ich mein Leben frei genießen und gestalten kann. Ich bin

körperlich und geistig fit – und mehr geht einfach nicht.

SPIELST DU DENN EIN INSTRUMENT?

Nein, tatsächlich nicht. In der frühen Kindheit spielte ich Blockflöte, aber das ist

lange her. Glücklicherweise waren meine Eltern herzhaft unmusikalisch und haben

mich nicht dazu getriezt, ein Instrument zu lernen. Auf der Bühne ist es eine reine

Stimmarbeit, musikalisch gesehen bewegt sich meine Stimme aber leider nur im

Rahmen einer Oktave. Singen würde ich das nicht nennen – ich interpretiere Lie-

der. Zu Hause habe ich den direkten Vergleich: Mein Mann ist Tenor, bei ihm ist

es Gesang.

MACHST DU NEBEN DEINER PERFORMANCE AUF DER BÜHNE SPORT,

UM DICH KÖRPERLICH FIT ZU HALTEN?

Die Bühnenarbeit kostet Kraft, aber ich habe auch das Laufen für mich entdeckt.

Außerdem versuche ich weitestgehend gesund zu leben und achte auf meine

Ernährung. Und der kleine Bauch stört mich etwas. Den abzutrainieren hat aber

keine Priorität, denn dafür kochen mein Mann und die Mitarbeiter im Theater viel

zu gut. Einmal in der Woche muss es schon das Schnitzel im Gassenhaur sein

oder alle paar Wochen die handgemachten Königsberger Klopse mit vielen

Kapern beim Mittagstisch im Schmidt. Meine Kochkünste reichen bisher für Rührei

mit Krabben, das Kochenlernen habe ich auf mein nächstes Leben geschoben.

APROPOS NÄCHSTES LEBEN: WO SIEHST DU DEN KIEZ IN 50 JAHREN?

Ich habe mir bisher noch keine konkreten Gedanken darum gemacht, da ich die

wahrscheinlich nicht erleben werde. Rückblickend auf die letzten 45 Jahre, die ich

miterlebt habe, ist St. Pauli ein Entertainment-Bezirk und ein weltweit bekanntes

Aushängeschild für Hamburg. Der Stadtteil befindet sich noch immer im Verände-

rungsprozess. Ich wünsche mir, dass der Kiez weiterhin vielseitig bleibt, und dass

es zum Beispiel ein gutes Angebot zu bezahlbaren und fairen Konditionen gibt.

Die Theaterkultur sollte auch weitestgehend frei bleiben, denn mit der städtischen

Subvention kommen auch unterschiedliche Einschränkungen der Obrigkeit. Vor

rund 80 Jahren gab es noch über 60 private und damit freie Theatereinrichtungen

auf St. Pauli, heute kann man sie neben unserem Theater an einer Hand

abzählen.

WAS SIND DEINER MEINUNG NACH DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDE-

RUNGEN FÜR DEN KIEZ DER ZUKUNFT?

In den letzten 40 Jahren gab es natürlich auch Dinge, die ich ungern gesehen

habe: Die Zuhälterkriege, einige Peep-Shows, die meiner Meinung nach unnötig

sind, und natürlich die Kioske, die exponentiell aus dem Boden gestampft wurden.

Dieses Problem ist aktueller denn je – und diese Entwicklung finde ich furchtbar.

Einerseits nehmen die Kioske den Gastronomen die Existenzgrundlage. Und ande-

rerseits animieren sie die Jugendlichen, sich für wenig Geld auf den Straßen volll-

aufen zu lassen. Es gibt in dieser Hinsicht nur Lösungsvorschläge – aber es ist die

Angelegenheit der Politik, die Problematik zu klären. Wie das regulierte Flaschen-

verbot, das nur auf dem Kiez existiert, könnten Alkoholika zum Beispiel lediglich

am Wochenende bis 22 Uhr an Kiosken verkauft werden dürfen. Das ist durchaus

umsetzbar – und jeder hätte etwas davon.

KÖNNTEST DU DIR VORSTELLEN, DIE KIEZ-PROBLEMATIK VON GANZ

WEIT ENTFERNT, AUF EINER EINSAMEN INSEL, ZU BEOBACHTEN?

Ich lebe auf St. Pauli, arbeite hier und habe hier meine Wurzeln geschlagen.

Irgendwo anders wäre ich nicht heimisch, ich bin ein Teil des Ganzen. Ich brau-

che jedoch auch mal eine Auszeit vom Trubel – und dann bin ich weg, sehr weit

weg. Eine einsame Insel wird es jedoch nicht werden, da müsste ich ja selber

kochen.

DANN NIMM DOCH DEINEN MANN MIT ...

Ja, aber nur mit einem Mann glücklich sein!? Ich bin gern unter Menschen und das

bezieht die Geselligkeit mit anderen nun einmal ein. Das eine schließt das andere

ja nicht aus.

CORNY

LITTMANN

EXKLUSIV-INTERVIEW ZUM 65. GEBURTSTAG AM 21. NOVEMBER 2017

LEBEN, LIEBEN UND NICHTS BEREUEN

Cornelius Littmann wurde am 21. November 1952 in Münster geboren und

lebt seit 1967 in Hamburg. Er studierte in der Hansestadt Psychologie bis er sich mit vollem Einsatz seiner wahren Berufung

hingab: dem Theater. Bundesweit wurde er bekannt durch seine Rolle als Herr Schmidt in der Schmidt Mitternachtsshow

von 1990 bis 1993 an der Seite von Lilo Wanders und Marlene Jaschke. Seit dem Ende der Show produziert er am heimischen Schmidt Theater, führt

Regie oder schlüpft in kleinere Bühnenrollen. Am 8. August 1988 um 8:08 Uhr eröffnete Corny Littmann mit drei weiteren Gesellschaftern als künstle-

rischer Leiter das Schmidt Theater. Drei Jahre später das Schmidts Tivoli. Mittlerweile gehören zur Schmidt-Familie diverse weitere Lokalitäten wie das

Schmidtchen (im Klubhaus St. Pauli, zu dessen Bauherren er ebenfalls gehört) als kleinste Spielstätte, das Dips’n Stix, die hausbar, das Glanz & Gloria

und der Nachtclub Angie‘s. Und im September dieses Jahres, am Tag des Wiener Schnitzels am 9. September, erweiterte ein weiteres Restaurant die

Kiez-Landschaft unter seiner Schirmherrschaft: Das Gassenhaur mit dem weltbesten Wiener Schnitzel außerhalb der österreichischen Hauptstadt! Die

Vielseitigkeit seines Schaffens zeigt sich auch in der Tätigkeit als Präsident des Fußballvereins FC St. Pauli von 2003 bis 2010. Aktuell ist das Hambur-

ger Original mit einem Mann verpartnert, Botschafter der Initiative „Respekt! Kein Platz für Rassismus“, LGBT-Aktivist und Mitglied der „Deutschen

Akademie für Fußball-Kultur“. Nach dem Motto: „Endlich Rentner“ wird im Theater ganz privat mit Freunden zu seinem Ehrentag angestoßen und

gefeiert. Auch wir sagen ALLES GUTE zu einem sehr lebensbejahenden Mann, der eine gesunde Portion Selbstironie hat.