Piste November SN 2019

INTERVIEW | KULTUR PISTE.DE 019 nicht der Lauteste im Raum. FW: Welche musikalischen Dinge sind für Dich ein No-Go? Samy Deluxe: Wenn es ausschließ- lich um Songs über die Liebe geht. Manche singen ja nur darüber. Und selbst wenn ich schon viele Frauen- geschichten im Leben hatte, bin ich nicht der Typ dafür, über so etwas zu singen. Ich sehe auch absolut keinen Sinn darin, Partysongs zu schreiben. Das ist alles nicht meins. Ich will einen guten Style. Und ich will Inhalt. KRS-One hat dafür ein- mal das Wort „Edutainment“ ins Spiel gebracht. Also: ein Mix aus Education, Bildung, und Entertain- ment, Unterhaltung. Und ich denke, dass die Leute auch genau das von mir hören wollen – und nicht den nächsten Party- und Ko- kainsong. Das sollen die 20-Jähri- gen machen. FW: Ein anderes Zitat von Dir aus dem erwähnten Buch: „Es ging da- mals erstmal darum, gute Reime zu schreiben.“ Ist das Schreiben von Reimen im Laufe der Jahre der Re- flexion gewichen? Samy Deluxe: Schon. Aber da- durch ist das Reimeschreiben nicht unwichtiger geworden. Die Art, wie man mit Worten umgeht und wie man sie ausspricht, macht schließ- lich unheimlich viel aus. Es war frü- her eher so: Es ging erstmal nur darum, einfach einen guten Reim zu finden. Der Reim war zuerst da. Vor allem anderen. Vor dem Inhalt. Je mehr Erfahrung aber dazukam, je mehr Selbstreflexion, umso mehr Persönlichkeit kam dann auch in die Texte. FW: Dein aktuelles Album, „SaMTV Unplugged“, mit dem du auf Tour gehst, ist kein typisches Rap-Album. Es ist anders als alles, was Du zuvor gemacht hast. Samy Deluxe: Ich würde sagen: Es ist eigentlich das Gleiche. Es ist ein Rap-Album. Natürlich hätte ich mir vor 20 Jahren nicht gedacht, dass ich mal eine Ballade aufnehmen würde. Aber da hatte ich auch noch kein Kind, über das ich in dieser Ballade singen konnte. „SaMTV Un- plugged“ ist vor allem das Stim- migste, was ich je gemacht habe. Es bringt alles voll auf den Punkt: Wie und wer ich als Künstler bin. Wie ich zu dem Künstler wurde, der ich bin. Der Unterscheid zu früher: Früher gab es viel mehr Unstim- migkeiten. FW: Was meinst Du damit? Samy Deluxe: Ich habe schon sehr viele Wandlungen und extreme Phasen durchgemacht. FW: Zum Beispiel? Samy Deluxe: Die Entwicklungs- kurve ging ja vom Hamburger Un- tergrund aus los. Ich war schon sehr untergrundmäßig unterwegs, als ich schon recht bekannt war. An einem Abend sprühte ich in einem Tunnel die Wände an. Am Tag da- rauf gewann ich dann den „Echo“. Dann ging ich für eine Zeit lang in die USA und war extrem von der dortigen Szene geprägt. Mit viel Schmuck und „Bling Bling“. Da habe ich richtig auf Welle gemacht. Irgendwann habe ich das aber ab- gelegt. Ich wurde erwachsener. Re- flektierter eben. Spielte auch mal Reggae. Und sang plötzlich über meinen Vater und meinen Sohn. FW: Kein Schmuck mehr heute? Samy Deluxe: Nein. Dieses Schmuck-Ding hat für mich keinen Sinn mehr. Was habe ich davon, wenn ich so eine dicke Kette trage? Ich schaffe lieber etwas, anstatt mich mit Glitzersteinen zu behän- gen. FW: Für was gibst Du denn Geld aus, beziehungsweise: Was leistest Du Dir gerne? Samy Deluxe: Ich kaufe gerne De- signer-Klamotten und investiere viel Geld in jede Art von Kunst. Und für mich können auch Klamotten Kunst sein. Sie müssen nicht von der Stange bei „H&M“ kommen. FW: Angenommen Dein um 25, 30 Jahre jüngeres Ich würde den heu- tigen Samy Deluxe mit dessen Un- plugged-Programm live auf der Bühne sehen. Wie würde es reagie- ren? „Das ist total uncool“? Samy Deluxe: Nein, auf gar keinen Fall. Klar: Ich war damals schon scheuklappenmäßig unterwegs. Viel mehr als heute. Aber mein jün- geres Ich würde trotzdem mit offe- nem Mund dastehen. Denn: Ich rappe auf dieser Platte und in die- sem Programm besser und krasser als je zuvor. Besser als irgendein anderer deutscher Rapper das je auf einem Live-Tonträger getan hätte. FW: In Deutschland gibt es mittler- weile zig Rap-Sparten und Rap- Künstler. Gangster-Rapper wie Bus- hido. Politische Rapper wie die An- tilopen Gang. Eher auf Indiepop ausgelegte Rapper wie Casper. Su- perstars wie Marteria und die Fanta Vier. Wo würdest Du Dich in dieser Landschaft einordnen? Samy Deluxe: Ich glaube, ich habe mir schon eine eigene Nische er- spielt. Aber: Die Rapper und ihre Art, mit denen ich mich am ehesten vergleichen würde, sind Afrob und Megaloh. Denn: Du kannst Rapper wie uns zwischen andere Rapper stellen, egal wo auf der Welt, und auf einen Beat, egal welcher Art, rappen lassen – und erkennst sofort diesen Stil. Deutschland ist in dieser Hinsicht ein extrem theoretisches, kopflastiges Land. Hier werden viele Leute – Namen nenne ich jetzt nicht – als gute Rapper behandelt, die zwar textlich gut, handwerklich aber furchtbar sind. Die werden als Rap-Götter behandelt, aber: Stell‘ die mal in Afrika auf eine Bühne, wo es nur um Musikalität geht und darum, wie deine Stimme mit den Beats zusammengeht. Das würde nicht klappen. Ich habe im vergan- genen Jahr eine Tour durch einige afrikanische Länder gemacht. Und ich war überall der krasseste Rap- per. Wirklich. Die Leute sind ausge- flippt als sie hörten, wie der Beat nach vorne geht, sobald ich ins Spiel komme. Und das können nur wenige. Eben Megaloh, Afrob oder ich. Wir sind quasi die Rapper-Rap- per. (lacht) FW: Ich habe noch ein Zitat von Dir aus dem Buch: „Früher war Rappen wie das Halten von Referaten“. Was ist Rap denn heute? Samy Deluxe: Eigentlich immer noch wie das Halten von Referaten. Denn: Schlaues und gut auf den Punkt gebrachtes Schreiben ist ja immer irgendwie eine Art Referat. FW: Referate kennt man aus der Schule. Und Schule mögen viele nicht. Samy Deluxe: Die Fächer, in denen ich in der Schule Referate halten sollte, waren diejenigen, denen ich am meisten abgewinnen konnte. Deutsch und Geschichte. Kunst und Musik habe ich dagegen gehasst. FW: Ausgerechnet diese beiden? Samy Deluxe: Ja. Weil ich die Art dieses Unterrichtes für falsch hielt. „Tu‘ mal dies und mach‘ das mal so!“ Nein! Wollte ich nicht! „Ich will das machen, was ich will!“ Und überhaupt: Wieso sollte es jemand bewerten, wie gut oder schlecht ich das Bild eines anderen nachmalte? Das habe ich nicht eingesehen. Ich wollte selber etwas erschaffen. FW: Haben die Lehrer Dich ge- mocht? Samy Deluxe: Ja – weil ich immer ein netter Mensch war. Und gerade weil ich es immer darauf anlegte und versuchte, Wettkämpfe auszu- tragen. Grenzen auszutesten. Dinge zu hinterfragen. Ich war sehr aufgeweckt. So etwas wird später ja leider viel zu oft von der Gesell- schaft weggefiltert. Ich aber hatte immer genügend Trotz, um mich dagegen zu wehren. FW: Apropos Trotz: In „Schwarz- Weiss“ singst Du quasi davon, dass Du gefühlt immer zu schwarz für die Menschen mit weißer Hautfarbe und zu weiß für die Menschen mit schwarzer Hautfarbe gewesen bist. Hat Dir dieser Trotz geholfen, auch das irgendwie zu überwinden? Samy Deluxe: Sicher. Aber dieser Song kann sich ja auf alles Mögli- che beziehen. Es geht darum, wie es ist, wenn man eigen ist und die Gesellschaft damit nicht klar- kommt. Bei mir ist es dann die Hautfarbe. Bei anderen ist es die sexuelle Orientierung. Oder eine äußerliche Krankheit. Dinge eben, wegen denen andere einen aus- grenzen. Mit diesem „Schwarz- Weiss“ sind sehr viele Leute in sehr verschiedenen Situationen gleich schlimm konfrontiert. FW: Ist Rap ein unterschätztes Genre in Deutschland? Samy Deluxe: Vor ein paar Jahren hätte ich gesagt: Ja. Aber Rap ist im Umbruch. Ich bin ja in sehr vielen unterschiedlichen Funktionen in der Musikindustrie unterwegs. Auch hinter den Kulissen. Als Songwriter und Produzent. Und wenn ich da einerseits sehe, wie krass am Ende Popmusik ist, während andererseits jeder kleine Rapper, der sich einen Auto-Tune auf die Stimme legt und ein paar Mütter beleidigt, direkt Multimillionär wird, dann sehe ich: Es gibt in Deutschland gerade kein größeres Genre als Rap. Und es wächst immer weiter. (Das Interview führte Frank Weiffen)

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