INTERVIEW MIT
NEELIX
piste:
Hi Neelix, 2014 hast du schon
einmal ein Interview für die Piste ge-
geben. Seitdem bist du musikalisch
noch erfolgreicher geworden. Hat sich
für dich dadurch irgendwas verän-
dert?
Neelix:
Tatsächlich haben sich ei-
nige Sachen geändert. Da ich Anfang
2016 so eine Art Nervenzusammen-
bruch durch zu viel Fliegen und Rei-
sen im Allgemeinen hatte, haben wir
alle zusammen entscheiden, dass ich
nicht mehr so viel reisen sollte. Seit-
dem haben wir uns ganz doll auf
Deutschland konzentriert. Das war
das Allerbeste überhaupt. Jetzt darf
ich ganz viel in Deutschland spielen
und Hannes und Claudia (Freunde
und Manager) kommen immer mit.
Das ist etwas ganz anderes als alleine
zu reisen. Ich fahre mit Freunden zu-
sammen auf Partys. Was kann es bes-
seres geben?!
piste:
Wolltest du denn schon immer
Psytrance machen oder kamen in dei-
nen jüngeren Jahren auch mal an-
dere Musikrichtungen infrage?
Neelix:
Ich fand immer, dass elek-
tronische Musik wenig transportieren
will oder kann. Im Vergleich zu ande-
rer Musik, die verschiedene Genera-
tionen begleitete. Da gab es politische
Aussagen, da wurden Stellungen be-
zogen. Ich konnte nicht ganz verste-
hen, warum so viele dieser Bewegung
gefolgt sind. Als ich dann 1994 das
erste Mal eine Technics MK 2 in den
Fingern hatte und damit rumspielte,
sah das gleich ganz anders aus. Es
hat total Spaß gemacht, elektronische
Beats übereinander zu legen. Das
Mixen dieser Beats war erst einfach
eine nette Beschäftigung und dann
wurde es eine richtige Leidenschaft.
Wir haben eigentlich mit Trance/
Techno angefangen aufzulegen. Psy-
trance hatten wir alle noch gar nicht
gehört. Als wir dann mal wieder am
Jungfernstieg in Hamburg skaten
waren, war da plötzlich ein neuer Ska-
ter. Alex Dorkian war auch DJ, aber er
hatte nur Psytrance-Platten. Wir alle
wurden sofort Freunde und hingen zu-
sammen rum und mixten unsere Plat-
ten mit seinen. Ich fand die Musik
nicht so gut. Viel zu durcheinander,
viel zu psychedelisch. Mein erster Auf-
tritt überhaupt war dann zusammen
mit Alex Dorkian (NOK) 1996. Da
fing ich an, Musik zu produzieren. Das
lag mir viel mehr als selbst aufzule-
gen.
piste:
Deine Musik hat immer was
sehr Persönliches und Emotionales.
Ich kann mich an eine Situation erin-
nern, da kamen einem Mädel auf
dem Floor die Tränen, als deine Lie-
der gespielt wurden. Wie schaffst du
es, die Leute so zu berühren?
Neelix:
Ich finde immer noch, dass
es schwer ist, eine Bedeutung zu trans-
portieren in elektronischer Musik.
Nicht nur Spaß haben, sondern auch
anregen oder besser sogar Stellung
beziehen. Ich versuche das mit jedem
Song, den ich mache. Ein gutes Bei-
spiel ist der Song „You can change the
world“. Das ist, was ich denke. Wenn
du dich selbst reflektierst und darauf-
hin änderst, hast du die Welt verän-
dert. In eigentlich allen Songs sind
Sachen mit eingebaut, die mich be-
schäftigen und bewegen. Ob Stim-
men Samples von meinem
verstorbenen Bruder Heiko, oder jetzt
in „Neelix - Cherokee“ ein Hund, der
an einem Mikrophone schnüffelt. Es
sind meine privaten Sachen, die ich
verarbeite in der Musik.
piste:
Dein neues Album „On My
Own“ klingt anders und doch hört
man sofort, dass es sich um den typi-
schen Neelix-Sound handelt. Steckt
hinter so einem Album jahrelange Ar-
beit oder schließt du dich eine Woche
Zuhause ein?
Neelix:
„On My Own“ war eigent-
lich nur als ein Set geplant. Es sollte
nie ein Album werden. Ich sitze ei-
gentlich meistens nur am Rechner und
spiele herum. Ich kann mich nicht ein-
fach hinsetzen und geplant einen
Track anfangen und beenden. Ich
spiele nur rum und habe oft fünf oder
sechs Tracks gleichzeitig „in the ma-
king”. Mindestens die Hälfte dieser
Songs wird nie erscheinen. Es war ein-
fach schön diese Musik zu machen.
Einmal im Jahr bringe ich dann ein
Set raus mit Songs, die eigentlich nicht
rauskommen sollten. Das schöne an
diesen Songs ist, das sie frei von Re-
geln sind.
piste:
Du warst schon auf einigen
Festivals unterwegs. Gab es eines,
dass dir besonders in Erinnerung ge-
blieben ist?
Neelix:
Ich bin total begeistert vom
Echelon Festival. Da habe ich vor kur-
zem spielen dürfen. Das hat so viel
Spaß gemacht. Es war gleich super als
wir ankamen. Alle waren so unglaub-
lich nett und entspannt. Ich bin einfach
im Allgemeinen begeistert, dass ich in
einer ganz anderen Szene bin und so
viel Freude/ Freunde und Akzeptanz
erfahre. Das ist einfach schön. Ich
habe als Jugendlicher ganz oft die
Schule wechseln müssen. Das war
jedes Mal sehr schwierig. Meistens
war ich dann erst einmal der Außen-
seiter und niemand wollte mit mir zu
tun haben. Das erinnert mich gerade
ein bisschen daran. Nur, dass diese
neue Schulklasse von Anfang an total
super ist. Danke Leute!
piste:
Du bist ja schon ein alter Hase
in dem Musikbusiness. Ich kann mich
daran erinnern, wie du 2011 bei der
Psychedelic Experience vor knapp 200
Leuten gespielt hast. Jetzt bei der May-
day waren es 20.000. Hast du vor
jedem Auftritt noch Lampenfieber?
Neelix:
Oha, eine gute Frage. Es
wird immer doller. Die Nervosität wird
immer intensiver. Ich setzte mich
irgendwie mehr unter Druck, als frü-
her. Das ist aber auch nichts schlim-
mes. Stell dir vor, du hast in drei
Monaten den höchsten Bungee Jump
der Welt zu machen. Du denkst lange
drüber nach, die Anspannung steigt.
Am Tag X, dann hat sich alles un-
glaublich aufgestaut. Sobald du
springst, wird alles losgelassen und du
erfährst eine Befreiung, die süchtig
machen kann. So ähnlich ist es auf
der Bühne. Vor dem Auftritt bin ich so
angespannt, dass ich kaum atmen
kann. Aber nach dem Auftritt ist dann
alles von mir abgefallen. Wir haben
herausgefunden (wenn ich wir sage,
meine ich Hannes und Claudia, die
immer mitkommen), wenn ich ein In-
terview vor einem Auftritt gebe,
es eher etwas negativ. Wenn
das Interview nach dem
Auftritt ist, wird es positiver.
Das zeigt glaube ich, die
Anspannung vor dem Auftritt.
piste:
Man hat das Gefühl, dass du
die Welt gerne zu einem besseren Ort
machen würdest. Was würdest du än-
dern, wenn du das Sagen hättest?
Neelix:
Ich würde erst einmal die
Medien verändern. Die Menschen sol-
len erfahren, was sie bewirken und sie
sollen erfahren, was getan werden
kann. Es gibt so viel, was jeder ma-
chen kann. Es muss aber erst einmal
das Bewusstsein dafür gefördert wer-
den. Am liebsten wäre mir eine echte
Demokratie, die nicht vom Kapital
diktiert wird. Also raus aus der Dikta-
tur und zurück zur Demokratie. Ich
glaube das Volk ist sehr schlau und
auch menschlich und meistens wür-
den sie das Richtige tun/ wählen. Aber
das geht nicht, wenn das System das
nicht anbietet oder besser noch will.
Bitte liebe Leute, gebt bei Facebook
mal „Campact e.V.“ ein. Und dann
noch „Attac Deutschland“. Hier gibt es
sofort Petitionen, die unterzeichnet
werden können und sofort wird etwas
bewegt. Viele denken, dass nichts ver-
ändert werden kann. Das stimmt
nicht. Du kannst alles ändern. Du
musst dich nur dafür interessieren.
piste:
Wie schaffst du den Ausgleich
zum Auflegen?
Neelix:
Du bist wer du bist durch
deine Freunde. Deswegen sind diese
auch so wichtig. Also, nimm dir Zeit
und versuche, wenn möglich, weniger
zu arbeiten. Ich habe tatsächlich ge-
rade eben einen schönen Spruch ge-
lesen. „Du hast die Rolex. Ich habe
Zeit.“ – Diese sieben Wörter treffen
den Nagel auf den Kopf. Denn es ist
nicht wichtig, was du erreicht hast im
Leben. Es ist wichtig, was du in den
Menschen um dich herum entfachst.
Vielen Dank für das Interview.
Interview: Ansgar