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LESERSTORY: 365 - Ein Jahr in Neubrandenburg

LESERSTORY: 365 - Ein Jahr in Neubrandenburg


News vom 24.05.2019 - Stand: 24.05.2019 10:20

Mateus ist 18 Jahre alt und kommt aus Porto Alegre, Brasilien. Zwischen ihm und seiner Familie liegt der Atlantische Ozean und eine Luftlinie von über 11.000 Kilometer. Im April feierte er sogar seine Volljährigkeit in seiner Übergangsheimat Neubrandenburg. Im Sommer fliegt er wieder zurück nach Brasilien in seine Heimatstadt, die ganz nebenbei auch noch mehr als eine Million Einwohner hat. Wir haben ihn zu seinen Eindrücken befragt, die er in seinem Austauschjahr erlebt hat.

 

Mateus, wie kam es überhaupt zu deinem Auslandsjahr? Wolltest du schon immer weit reisen / andere Sprachen lernen / Kulturen kennenlernen?

Ich wollte schon immer so einen Schüleraustausch mitmachen, wusste aber nie, ob meine Eltern das überhaupt erlauben, zum einen wegen des Geldes und zum anderen, weil ich so lange und so weit von ihnen entfernt bin. Überraschenderweise kam dann aber mein Vater auf mich zu und fragte, ob ich nicht ein Austauschjahr machen möchte. Das Ganze lief dann letztlich über die Organisation YFU (Youth For Understanding), das ich nach Deutschland vermittelt wurde.

 

Wusstest du zu dem Zeitpunkt schon, dass du nach Deutschland kommst oder kamst du sogar auf Wunsch hierher?

Nein. Für mich war klar, dass ich nach Europa fliegen möchte. Frankreich und Deutschland waren eine Option. Ein Teil meiner Familie spricht zuhause auch deutsch, weil ich deutsche Wurzeln habe. Da war die Entscheidung für dieses Land einfach.

 

Ist Deutsch in deiner brasilianischen Schule ein Unterrichtsfach?

Nein, ich habe erst ein Jahr vor der Reise angefangen, die sprachlichen Basics zu lernen. Richtig unterhalten konnte ich mich aber mit den Menschen hier erst nach 4 bis 5 Monaten Aufenthalt. In der deutschen Schule ist es immer noch schwierig für mich, die Lehrer und auch die Aufgabenstellungen zu verstehen. Deshalb nutze ich die Zeit meistens, deutsche Bücher zu lesen und Übungsaufgaben zu lösen, die mir helfen, besser Deutsch zu sprechen.

 

Als du zum ersten Mal in Neubrandenburg angekommen bist, welches Gefühl hattest du da?

Ich habe mich zwar vorher über Neubrandenburg informiert, aber ein genaues Bild hatte ich nicht. Ich war erstaunt, dass die Stadt dann doch größer und schöner war als erwartet. Anfangs hatte ich Angst, dass Neubrandenburg zu klein für mich wäre, aber die Sorgen waren unbegründet.

 

Was gefällt dir hier besonders gut und was wirst du vermissen, wenn du wieder nach Hause fliegst?

Ich liebe die Natur, die Stadtmauer und dass man ganz schnell mit dem Fahrrad am Tollensesee ist und ein paar Minuten später dann wieder im Nirgendwo – in vollkommener Ruhe. Porto Alegre ist ja wesentlich größer und man hat weniger Kontakt zur Natur.

 

Hattest du schon vorher Kontakt zu deiner Tauschfamilie? Kanntest du hier schon jemanden?

Ich habe ein halbe Jahr vor der Reise ein Video geschickt, um mich vorzustellen und kurz bevor es losging, entstand dann auch der Kontakt per Whatsapp.

 

Hat es dich gestört, deinen Geburtstag nicht in Brasilien feiern zu können?

Der 18. Geburtstag ist ja etwas Besonderes. Das feiert man auch in Brasilien groß. Der Gedanke daran, diesen Tag nicht mit meinen Freunden und der Familie zu feiern, war schon komisch, aber ich bereue es keinen Moment. Ich habe hier mit tollen Leuten gefeiert und meinen Geburtstag genießen können. Meine Eltern sind kurz danach hergekommen und wir sind eine Woche durch Deutschland gereist.

 

Was gefiel deinen Eltern ganz besonders hier?

Eindeutig die deutsche Pünktlichkeit. Wenn ich in meiner Heimat mit dem Bus fahren möchte, kann ich 15 Minuten nach Abfahrtszeit zur Bushaltestelle gehen und muss immer noch warten. Das ist bei uns ganz normal und in Deutschland hat alles seine Ordnung, alle sind pünktlich und man legt viel Wert auf Sauberkeit.

 

Wie haben sich deine Sprachkenntnisse verändert? Brauchst du Deutsch für deine berufliche Zukunft?

Ich kann inzwischen die Speisekarte im Restaurant lesen, Leute ansprechen und vieles mehr. Das ist schon eine starke Veränderung. Deutschlehrer werde ich deshalb trotzdem nicht.

 

Gab es Situationen hier, die nicht so toll waren? Hast du negative Erfahrungen mit deinen Mitmenschen gemacht?

Es gibt hier viele Menschen, die kaum Englisch reden. Vor allem am Anfang, als ich noch kaum Deutsch sprach, war die Kommunikation für mich sehr eingeschränkt und ich habe immer wieder gemerkt, wie eine Wand zwischen mir und der Außenwelt steht. Auch jetzt entstehen noch Situationen, die wahrscheinlich nicht da wären, wenn ich Deutscher wäre. Letztens wollte ich mit ein paar Freunden hier in Neubrandenburg tanzen gehen und wir kamen nicht in den Club, weil wir nicht in Deutschland geboren sind. Ich habe mit dem Türsteher auf Deutsch geredet, ihm meine in Deutschland ausgestellte Aufenthaltserlaubnis gezeigt, aber das spielte für ihn keine Rolle. Wir waren nicht alkoholisiert und ein Mädchen aus unserer Gruppe, die einen deutschen Ausweis besitzt, kam sogar problemlos durch die Kontrolle. Die Leute, die an uns vorbeigegangen sind, haben uns auch nicht geholfen und es hingenommen, dass man als Tourist, Austauschschüler oder ähnliches dort abgewiesen wird. Das war schon eine unangenehme Situation.

 

Stell dir vor, wir stehen wieder im Jahr 2018. Würdest du dich, wenn du könntest, wieder für Deutschland, speziell Neubrandenburg entscheiden?

Ich würde trotzdem wieder hierher kommen.

 

Welche großen Unterschiede gibt es zwischen deiner Heimat und Neubrandenburg?

Das Wetter natürlich. Es ist viel kälter als in Brasilien. Dann das Essen – das ist in Deutschland wesentlich deftiger. Allerdings werde ich auch zwei Gerichte vermissen: Bratwurst und Döner! Das gibt es bei uns nicht. Auch die Menschen sind hier anders – reservierter. Man kommt seltener miteinander ins Gespräch. Wenn man aber Freunde in Deutschland findet, sind die zu 100 Prozent ehrlich und das Gefühl, solche Personen kennengelernt zu haben, nehme ich mit nach Brasilien.

 

Danke, Mateus. Das gesamte Interview wurde übrigens auf Deutsch geführt.


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