piste Lübeck 06/2015 - page 56

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PISTE.DE
night
l i fe
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PREVIEW
Ich bin DJ geworden, weil ich Mu-
sik liebe und der DJ meines Hei-
matortes mich eines Freitag-
abends anno 1990 als Vertretung
vorschlug. Es fasziniert mich bis
heute, Menschen mit der von mir
ausgesuchten und aufgelegten
Schallplatte in Bewegung zu ver-
setzen. Doch leider geht es viel-
fach um andere Dinge, nur nicht
mehr um Musik.
Letzten Sonntag spielten wir auf
einem Festival namens „Wasser-
farbtraum“ in Ulm. Nach unserem
Auftritt erfuhr ich, dass Afrojack
schlechte Laune hatte, weil nur
vier statt der bestellten fünf Pizzen in seinem Zelt auf ihn warteten (ich
hatte zuvor einen Apfel gegessen). Auch wollte der Holländer nicht
auftreten nach LMFAO, die in seinen Augen Kasper sind. Also wur-
de das Wochen zuvor online veröffentlichte Line-up umgestellt. Ich
vermute, dass er in Wahrheit asap wieder in seinen Privatjet wollte.
Die LMFAO-Crew nutzte die Zeit, um die im Artist Rider bestellten 40
Flaschen Patronas Tequila (à 70 Euro) sowie 30 Handtücher aus
ägyptischer Seide (eingeschweißt, mit Original Etikett) im Koffer-
raum ihrer drei (!) Mercedes Transporter zu verstauen. Während an-
dere DJs hier und da 50 Euro hinzuverdienen, weil sie billig reisen
und von der ausgemachten Reisekosten-Pauschale etwas übrig be-
halten, kassieren andere dank umfangreicher Artist Rider zusätzlich
ab, wenn sie die Sachen nach der Party vermutlich bei Ebay ver-
ticken. Bevor du nun aber anfängst, deinen eigenen Artist Rider fürs
Wochenende aufzustocken: Dass alles, was du forderst auch vor-
handen ist, klappt erst ab einer fünfstelligen Gage. Vergiss es also.
Noch mehr krasse Geschichten aus der Welt des DJ-Jet Sets hörte ich
am nächsten Tag. Auf der Rückfahrt zum Flughafen zog mein Fahrer
so richtig vom Leder. So besteht ein gewisser David Guetta (aufmerk-
same Leser meiner Beiträge kennen ihn schon!) auf einen Learjet für
15 Personen, auch wenn er alleine ist, und einer Suite von mindes-
tens 100 Quadratmetern Größe. Da im Umkreis kein Hotel so viel
Raum anbietet, wurde kurzerhand eine Villa angemietet. Bestimmt
brauchen seine großen Ideen so viel Platz. Die Musik macht's mög-
lich, steht aber längst nicht mehr im Mittelpunkt. Zu hören auch auf
DGs neuen Produktionen, wo aktuell nur Wiederaufgewärmtes
(„Shot Me Down“) und Wiedergekäutes („Work Hard Play Hard“)
auf die Teller kommt. Wie sollen bei den vielen Nebenkriegsschau-
plätzen auch kreative und frisch zubereitete Titel entstehen? Der
Mann hat anscheinend zu viele andere Sorgen - wie Zimmergröße
und Learjet-Betankung! Es tut eben nicht jedem David gut, wenn er
zum Goliath wird.
GEHT'S NOCH UM MUSIK?
TEIL1
KOLUMNE
Gordon
1...,46,47,48,49,50,51,52,53,54,55 57,58,59,60,61,62,63,64,65,66,...68
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