piste Hamburg 09/2019

010 PISTE.DE CITY NEWS | PISTE PERSÖNLICH DU BIST VOR 21 JAHREN AUS HESSEN ÜBER LÜBECK NACH HAM- BURG GEKOMMEN. WAS HAT DICH HIERHER VERSCHLAGEN? Natürlich das Nachtleben, aber insbesondere die Musikszene hier. Musik spielt in meinem Leben eine große Rolle, ich habe in Bands gespielt und später bei einem großen Plattenlabel gearbeitet. Das erste Mal war ich 1993 hier. Als ich noch zur Schule ging, habe ich mit Freunden für ein paar Tage einen Ausflug hierher gemacht und ein sehr raues Hamburg erlebt. St. Pauli wurde von Luden beherrscht und es gab noch Schießereien. Das war ein Viertel, in das man sich nicht unbedingt wagte. WIE HAST DU ST. PAULI DAMALS WAHRGENOMMEN? UND WIE HAT ES SICH VERÄNDERT? St. Pauli ist inzwischen sehr mainstreamlastig geworden und auf Touristen ausgerichtet. Es gibt mehr Operettenhäuser und Theater. Damals gab es noch Seemannskneipen, in denen ziemlich dubiose Leute unterwegs waren. Heute werden sogar Filme gemacht, etwa über den goldenen Handschuh. Vor zehn, zwanzig Jahren hat sich dort niemand hinein getraut. Auch das ist nun längst touristisch erschlossen. Ich persönlich emp- finde es hier nicht mehr als gefährlich. Vielleicht auch deshalb, weil ich mich hier viel bewege und die Leute kenne. WOHIN HAT ES DICH DAMALS BEI DEINEN AUSFLÜGEN VER- SCHLAGEN? Ich war sehr oft im alten Knust an der Brandstwiete. Damals ein sehr klei- ner Laden, in dem viel Subkultur stattgefunden hat. Im Übrigen auch die ersten Konzerte von U2. Am meisten haben mich aber die Seemannsknei- pen an der Reeperbahn fasziniert. DU SELBST BIST MITTLERWEILE IM NOCHTSPEICHER GELANDET, KÜMMERST DICH DORT ALS KÜNSTLERISCHER LEITER UMS PRO- GRAMM, UMS BOOKING DER KÜNSTLER UND DEREN BETREUUNG. GLEICHZEITIG HAST DU DIR MIT DER NOCHTWACHE EINEN KLEI- NEN TRAUM ERFÜLLT, WORUM GEHT ES DABEI? Ich höre sehr gerne Country, doch leider gab es keinen Ort, an dem man das hören konnte. Also habe ich mich mit meinem Kumpel Olli zusammen- gesetzt und wir haben die Nochtwache gestartet. Die Künstler aus den USA und Kanada, die wir anfangs angeschrieben haben, waren schnell dabei, weil sie immer schon in Hamburg spielen wollten. Aktuell kommen wir kaum hinterher, da viele uns anschreiben um zu fragen, ob sie hier spielen können. Daraus ist ein kleines Festival entstanden, das Honky Tonk Harbour. DU BIST AUCH IM VORSTAND DES „CLUBKOMBINAT EV“. WAS TREIBT EUCH UM? Das Clubkombinat ist ein Zusammenschluss aus 168 Livespielstätten in Hamburg. Wir setzen uns für deren Belange ein, zum Beispiel steigende Mieten, Sanierung und die Unterbringung von Künstlern. Und auch dafür, dass wir Zuschüsse erhalten, um kleine Kulturstätten schützen zu können. Von der Politik wird zu wenig gemacht, um den kulturellen Raum zu schützen. EIN AKTUELLES PROBLEM GERADE: DURCH DAS SCHLIESSEN DES OTZENBUNKERS FALLEN VIELE PROBERÄUME FÜR JUNGE BANDS WEG. Das ist ein extremer Widerspruch, da Hamburg sich international als Musikstadt feiert. Wenn der Nachwuchs aber keinen Raum für Kreativität bekommt, muss man sich nicht wundern, wenn keine Musiker nachkommen. Dann passiert es, dass die Kultur hier verarmt. Wir wollen auch da anset- zen und jungen Künstlern Raum verschaffen, damit sie die Möglichkeit haben, zu wachsen. WAS KANN JEDER EINZELNE GEGEN DAS CLUBSTERBEN MACHEN? In Bars gehen, in Clubs und einfach am Leben in diesem Kulturkreis teilha- ben. Man kann den Merch von Bands kaufen und auch ihre Liveauftritte besuchen, um sie und die Clubs zu unterstützen. Das vollständige Interview von Sylvie Holbaum mit Constantin Twickel gibt es als Pod- cast auf schanzpaulifunk.de CONSTANTIN TWICKEL IM INTERVIEW

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