piste Hamburg 12/2018

010 PISTE.DE CITY NEWS | PISTE PERSÖNLICH DURCH DEINE ARBEIT IST ES GELUNGEN, DASS DIE KULTURSTÄTTE KAMPNAGEL EIN WELTWEITES ANSEHEN ERLANGT HAT. WIE HAST DU DAS GESCHAFFT? Wir machen viele neue Produktionen, auch internationale. Wir arbeiten zudem in großen internationalen Partnerschaften. Haben Kooperationen mit Museen, da einige unserer Künstler*innen auch Bildende Kunst betrei- ben. Durch neue Produktionen mit internationalen Künstler*innen erweitert sich unser Netzwerk immer weiter. WO SOLL DIE REISE VON KAMPNAGEL HINGEHEN? Baulich muss sich viel ändern, da sich die Gebäude nach jahrelangem Sanie- rungsstau in keinem guten Zustand befinden. Eine große Generalsanierung ist daher nun erforderlich. Geld vom Senat wurde bereitgestellt, da Kampnagel auf einer hohen Prioritätsliste steht. Und wir haben viele Ideen über die Gebäu- desanierung hinaus und wollen u.a. auch das Gelände rund um die Fabrik in einen attraktiven Garten verwandeln. Dazu ein Gästehaus, für temporäre Künstlerwohnungen. Dadurch wäre das Kampnagelgelände wie ein Campus und wir hätten die Möglichkeit, Künstlergruppen längere Zeit hierher zu holen. WIRD ES DABEI ZU EINSCHRÄNKUNGEN IM PROGRAMM KOMMEN? Mit Sicherheit werden die Baumaßnahmen zu gewissen Einschränkungen führen. Ich würde es gerne so machen, dass bauabschnittsweise saniert werden würde, damit nicht alle Räume ein Jahr lang geschlossen werden müssen, so müssten wir immer nur auf ein bis zwei Bühnen verzichten. Ich hätte aber genug Ideen für kulturelle Projekte in temporären Spielstätten, die im öffentlichen Raum, in der Elbphilharmonie oder in anderen interes- santen Hamburger Gebäuden, wie Hotels oder dem Spiegelhochhaus, oder in diesem Leuchtturm in der Hafencity, stattfinden könnten. WIE IST DEIN VERHÄLTNIS ZUR HAMBURGER STADT UND ZUM KULTURSENATOR? Ich lebe ja schon länger in Hamburg und finde, der Kultur Senator Dr. Carsten Brosda macht einen sehr guten Job und ist ein verlässlicher Partner für Kampnagel und die gesamte Kulturlandschaft. IN DEN NEUNZIGER UND ZWEITAUSENDER JAHREN HAT DIE POLI- TIK NOCH NICHT ERKANNT, WIE WICHTIG KULTUR FÜR HAMBURG IST. WAS WAREN FÜR DICH DIE WICHTIGSTEN SCHRITTE ZUR HEU- TIGEN SITUATION? Tiefpunkt war ja die „Schill-Regierung“, da war ich noch nicht in Hamburg, sondern in Berlin. Danach, 2010, gab es die Idee, zum Beispiel das Schauspielhaus oder das Altonaer Museum zu schließen, um Kunstgelder einzusparen. Der Bau der Elbphilharmonie war ein großer Schritt in Rich- tung größere Aufmerksamkeit für Kunst. Heute sind sich alle einig, dass sich dieses Bau gelohnt hat, trotz enorm gestiegener Baukosten. Man sieht, wie wichtig Kunst und Kultur für eine Stadt sind, um attraktiv zu sein für neue Bewohner, Studierende, hoch qualifizierte Arbeitskräfte und Touristen. Was noch passieren muss, ist zum Beispiel die bessere finanzielle Ausstat- tung der Kunstmuseen. Die Freie Szene in Hamburg hat sich in den vergan- genen Jahren sehr stark gemacht für bessere Finanzierung, mit Erfolg. Heute verbindet man Hamburg mit Kunst und Kultur, das hat zu tun mit der Elbphilharmonie, der Schanze und St. Pauli, Kampnagel und die vielen verschiedenen Akteuren in den unterschiedlichen Kunstsparten. DAS GÄNGEVIERTEL IST IN DEM KONTEXT BESTIMMT AUCH WICHTIG. Auf jeden Fall ist das Gängeviertel wichtig. Dort haben sich friedliche Besetzer, wie 25 Jahre vorher die Kampnagelbesetzer für die Erhaltung des Gebäudeensembles eingesetzt. Zum Beispiel mit ihrem Slogan: „Kommt in die Gänge“, sie waren immer offen für Gespräche und haben verhandelt. Das wurde als das Wunder von Hamburg beschrieben, da das Viertel so schnell zurückgekauft und mit den Besetzern die Sanierung geplant wurde. Sie haben da auf ein wirkliches Problem hingewiesen, dass die Stadt diese Gebäude Investoren überlassen wollte und Erfolg gehabt. Durch die dort produzierenden Künstler ist ein interessantes und international beachtetes Zentrum entstanden. Diese Beachtung ist natürlich größer, wenn sich ein Ort, wie das Gängeviertel noch im „Kampfmodus“ befindet und schwindet, wenn es sich wieder beruhigt hat. Ich finde es super für Hamburg, dass wir das Gängeviertel haben. WÜRDEST DU SAGEN, DASS BEIM GÄNGEVIERTEL DER NACH- WUCHS STATTFINDET? Es stimmt, dass viele junge Künstler im Umfeld des Gängeviertels aktiv sind, viele sind aber auch im Gängeviertel und bei uns. Im Gängeviertel gibt es einen Probenraum, in dem junge Choreografen proben. Im Bereich Bil- dende Kunst vermute ich mal, dass dort auch viel passiert. VOR ZWEI WOCHEN WAREN WIR BEI EINER PRESSEKONFERENZ, BEI DER DU ETWAS NICHT SEHR SCHÖNES BEKANNT GEGEBEN HAST, WIE IST DA JETZT DER STATUS? Das Projekt „Der Vielen“ wurde in Berlin initiiert, schon vor zwei Jahren, von der Freien Szene. Ein Bündnis, das sich für eine vielfältige Gesellschaft und gegen rechts ausspricht und untereinander solidarisch ist. Ich wurde von Ber- linern gefragt, ob ich diese Initiative unter den Kulturinstitutionen und Kultur- schaffenden in Hamburg starten könnte, das habe ich auch sehr gern gemacht und die Resonanz unter den Kollegen war überwältigend. Innerhalb von wenigen Tagen haben über 100 Leiterinnen und Leiter von Kulturinstitutionen, Vereinen und Initiativen die Erklärung unterzeichnet – sowohl die Staatstheater als auch kleine Häuser. Im Mai soll es eine große Aktion geben, also eine Demonstration, es ist aber noch nicht klar, ob diese nur in Berlin oder auch in anderen Städten stattfindet. Im Januar und Februar werden wir uns mit zwei Veranstaltungen auf Kampnagel mit dem Kulturbegriff der neuen Rechten beschäftigen und haben dafür die Politikwissenschaftlerin Carina Book einge- laden und wir haben die Anwohner*innen Initiative Balduintreppe am 21. Januar zu Gast zum Start einer Vortragsreihe über Institutionellen Rassismus. AMELIE DEUFLHARD IM INTERVIEW © Ute Laukner Amelie Deuflhard ist Theaterintendantin und Theaterproduzentin auf Kampnagel. Sie kommt aus Stuttgart, lebte und arbeitete unter anderem in Berlin und ist seit 2007 in Hamburg tätig. Gerade erst initiierte sie mit der Erklärung „Die Vielen“ den Zusammenhalt in Kunst und Kultur als Teil der Zivilgesellschaft in Hamburg und wurde außerdem zur „Europäischen Kulturmanagerin des Jahres 2018“ geehrt. Gute Gründe für uns, in einem Gespräch zu gratulieren und mit Blick auf das neue Jahr bezüglich ihrer Pläne nachzufragen.

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