piste Hamburg Juni 2015 - page 30

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PISTE.DE
KULTUR
| INTERVIEW
FERRIS MC
ERWACHSENES ENFANT TERRIBLE
Dein letztes Soloalbum ist vor
11 Jahren erschienen. Warum
ausgerechnet jetzt ein Neues?
Das ist ein schleichender Prozess. Das
hängt auch damit zusammen, dass
ich bei Deichkind die ganze Zeit
Teamplayer bin, ein Rädchen vom
Ganzen. Damit fühle ich mich auch
wohl, aber am Ende brodeln in mir
natürlich viele Sachen, die ich in der
Zeit der Pause verarbeitet habe und
in Songs umwandeln m
uss, und di
e
aber nicht z
u Deichkind passen.
Deichkind i
st sehr hedonistisch.
Auf meine
n Alben versuche ich mehr,
meine em
otionale Seite ein bisschen
auszuleben. Die musikalische Frei-
he
it, die bei Deichkind auch schon in
eine Richtung vorgegeben ist, die
wollte ich auf meinem Album nicht
nochmal wiederholen, sondern eher
die ganzen anderen Facetten, die ich
auch mag, wie Punkrock oder auch
bestimmte Popsachen. Ein bisschen
düstere und ernsthaftere Sachen. Na-
türlich bricht das auch auf und ein
bisschen Humor ist da auch vorhan-
den. Allerdings nicht wie bei Deich-
kind, wo der Humor ja ein bisschen
subtiler ist. Bei mir ist der Humor
schon ein bisschen mehr gerade aus.
MeineWelt ist einfach so groß und
da ist noch so viel drin, was raus muss
und deshalb musste das Comeback
jetzt her.
Bei „Kill, Kill, Kill“ klingt es so,
als ob du echt genervt bist.
Das ist auf diese Neuzeitrapper bezo-
gen. Das ist ein bisschen allgemeiner
gehalten, also nicht auf eine Person
bezogen, aber soll schon so ein biss-
chen ankratzen. Es langweilt mich,
dass die alle sehr wirtschaftlich an ih-
re Alben rangehen und auf ihr Image
bedacht sind. Im Endeffekt sind das
alles nur Jugendphänomene. Wel-
ches Gangstarap-Album hat denn
noch einen Facettenreichtum zu bie-
ten? Das ist ein fett produzierter Beat.
Ich hatte bis heute noch nie Bock,
mich in Sicherheit zu wiegen. Ich bin
immer risikobereit und will einfach
meine Kreativität ausleben. Ohne
Rücksicht auf Verluste. Das finde ich
sehr wichtig bei Musik, dass man
sich eben nicht anpasst und das
macht, was von einem erwartet wird.
Ich will keinen Erwartungen entspre-
chen, ich will Erwartungen brechen.
Und entweder fällt man, auch ganz
tief, was ich schon erlebt hab, oder
man kann was viel höheres errei-
chen, als man sich je erhofft hat. Et-
was, das durch die Decke bricht.
Du hast gesagt, das Album sei
ein rundes Album. Was meinst
du damit? Gab es einen roten
Faden?
Der rote Faden besteht darin, dass
kein Song das Album repräsentiert.
Du kannst keinen Song rausnehmen
und sagen, der repräsentiert das
ganze Album. Und rund ist es deswe-
gen, weil ich der Meinung bin, dass
das eine gewisse Massentauglichkeit
hat und versucht, dieses extreme,
was ich früher hatte, wegzulassen.
Ich will, dass die Musik die Aufm
er
k-
samkeit erregt, ohne den Leuten mit
den Texten vor den Kopf zu st
oßen.
Die Interpretationsfreiheit d
er Leute
soll geweckt werden, sie
sollen ein ei-
genes Gefühl zu den
jeweiligen
Songs entwickeln.
Wer hat deine Songs denn zu-
erst gehört?
Naja, die Plattenfirma, die Leute, die
daran mitgearbeitet haben. Aber
man ist da jetzt nicht wie bei Kinovor-
führungen mit dem Stimmzettel rum-
gegangen. Meine Frau natürlich
auch. Die sagt mir auch eiskalt, wenn
sie etwas scheiße findet und gibt mir
viele Tipps. Aber sie ist auch sehr nah
an mir dran und ich glaube, dann
fällt es ihr auch schwer, meine Musik
objektiv zu beurteilen.
Gibt es ein Liebeslied für sie?
Ja. Aber es ist leider nur der Bonu-
strack bei iTunes und auf der Fanbox.
Den Chorus hat Jan Plewka von Selig
gesungen. Die Plattenfirma hatte zu-
erst Angst, dass ich damit noch an-
greifbarer bin. Ich habe sie letztend-
lich überredet, ihn doch noch mit
drauf zu nehmen.
ferris-mc.de
Glück ohne Scherben
VÖ: 29. Mai 2015
Label: Warner
SEIN ALBUM IST SO KOMPLEX WIE DIE PERSON FERRIS
SELBST. ROCKIG, SOULIG, VON ALLEM ETWAS, ABER AUF
KEINEN FALL EINE KOPIE VON DEICHKIND, BEI DENEN ER
FESTER BANDBESTANDTEIL IST. DIE PISTE HAMBURG TRAF
IHN EXKLUSIV ZUM INTERVIEW IN DER BETALOUNGE UND
VERBLÜFFTE UNS MIT SEINER EMOTIONALITÄT.
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